Wer ist die Lila Hilfe?

Wir – eine Gruppe von feministischen Frauen – haben die Lila Hilfe gegründet. Die Lila Hilfe ist eine parteiunabhängige Solidaritätsorganisation der (feministischen) Frauenbewegung. Sie soll nach ihren Möglichkeiten Solidarität für alle in der Bundesrepublik Deutschland organisieren, die frauenfeindlicher Gewalt ausgesetzt und aufgrund ihres Geschlechts sexistisch diskriminiert und strukturell ausgebeutet werden. Wir wollen für unsere Mitfrauen sorgen, die für ihre Rechte als Frauen oder für Gerechtigkeit, zum Beispiel nach erlittener frauenfeindlicher Gewalt, kämpfen.

Wir denken, dass wir durch gelebte Solidarität nicht nur uns selbst und anderen Frauen in ihren individuellen Erfahrungen mit sexistischer Gewalt helfen können, sondern langfristig ein Gegengewicht zu den frauenfeindlichen Strukturen in Deutschland aufbauen können, die diese Gewalt begünstigen.

Unsere Solidarität kann sich dabei in verschiedenen Formen ausdrücken: Zum Beispiel als finanzielle Unterstützung bei Rechts- und Anwaltskosten oder in Form von Herstellung von Öffentlichkeit für gerichtliche Prozesse und Fälle von Sexismus und frauenfeindlicher Gewalt. Darüber hinaus verstehen wir solidarisches Handeln auch darin, gegenseitige praktische und beratende Unterstützungsstrukturen aufzubauen und -Angebote weiter zu vermitteln. Wir verstehen die Lila Hilfe als eine grundlegende Unterstützungs- und Solidaritätsstruktur, die im akuten Fall unterstützt und grundlegend den Zusammenhalt von Frauen und Mädchen stärkt, indem wir uns gegenseitig materiell und sozial beistehen.

Zwei Frauen, die sich im Arm halten und beide eine Faust erheben.

Was will die Lila Hilfe erreichen?

Das Ziel der Lila Hilfe ist es, langfristig die Befreiung der Frau von den ungleichen Lebenschancen zu ermöglichen, die uns aufgrund unseres Geschlechts zugestanden werden, sowie von der sexistischen Gewalt, der wir täglich im Beruf, in der Öffentlichkeit und in unseren Partnerschaften und Familien ausgesetzt sind – hin zu einem freien, guten Leben. Diesen Problemen sind wir schließlich nicht alleine ausgesetzt. Sie betreffen uns als Frauen, Schwestern, Tanten, Mütter, usw. Wir wollen erreichen, dass wir uns unserer gemeinsamen Gewalterfahrungen und strukturellen Benachteiligung bewusst werden und uns zusammenschließen. Gemeinsam können wir nicht nur die Schäden, die Gewalt, die uns durch die Strukturen der Gesellschaft und durch Einzelpersonen angetan wird, besser ertragen, sondern auch besser bekämpfen und verändern. Wir wollen die Angst oder Ohnmacht, aufgrund derer sich Frauen häufig nicht gegen diese Zustände wehren, überwinden. Das wollen wir erreichen, indem wir gemeinsam handeln und füreinander ganz praktisch da sind.

Keine Frau sollte Angst haben, denjenigen anzuzeigen, der ihr Gewalt angetan hat, weil sie Angst vor Repression oder den Kosten des Verfahrens hat.

Keine Frau sollte sich davon zurückhalten, sich gegen Gewalt zu wehren, sei es als körperliche oder rechtliche Gegenwehr oder durch direkte Aktionen.

Keine Frau sollte sich allein und hilflos fühlen, wenn ihrer Freundin, Nachbarin, Schwester oder Mutter usw. Gewalt angetan wurde.

Deshalb streben wir eine breite Solidaritätsstruktur an, durch die wir uns gegenseitig sowohl finanziell absichern, Unterstützung und Beratung vermitteln und schwesterlich jeder Frau zur Seite stehen können, die sich an uns wendet.

Warum haben wir die Lila Hilfe gegründet?

Wir leben in einer vermeintlich geschlechtergerechten Welt. Im Gegensatz zu unseren Großmüttern und auch Müttern dürfen wir arbeiten, was wir wollen, leben, wo und mit wem wir wollen, Kinder bekommen, wie und wann wir wollen. Wir fühlen uns emanzipiert und frei.

Gleichzeitig erleben wir selbst oder in unserem Umfeld, dass es nach wie vor bestimmte Muster an Gewalt und Beschämung gibt, die uns daran erinnern, dass Frauen immer noch nicht ganz gleich sind, gleich Mensch.

„Eine Frau zu sein, bedeutet noch nicht, ein Mensch zu sein“[1]

Frauen erleben Sexismus und frauenfeindliche Gewalt überall und häufig in ähnlicher Art und Weise, wir nehmen sie aber als individuell wahr. Der Spruch über unseren kurzen Rock fühlt sich an, als wäre er nur an uns gerichtet. Das Gehalt, geringer als das unserer männlichen Partner und Freunde, liegt sicher an unserer individuellen Berufswahl und nicht an unserem Geschlecht. Dass dem Freund unserer Freundin die Hand ausgerutscht ist, ist einer speziellen Situation in ihrer Beziehung geschuldet und liegt nicht an einer ungleichen Machtstruktur zwischen Geschlechtern. Diese Gedanken kennen wir alle.

Wir fühlen uns mit diesen Erfahrungen alleine, beziehen sie auf uns selbst und nehmen sie persönlich. Dem wollen wir ein Ende setzen.

Aber zuerst: Wieso denken wir, dass es nur uns selbst betrifft, dass wir alleine sind? Die Statistiken zu Sexismus im Alltag, Gewalt gegen Frauen, z.B. in Partnerschaften, oder den ungleich verteilten Belastungen bei Kinderbetreuung und Sorgerechtsfragen zeigen uns eindeutig: Wir sind nicht alleine. Es gibt geschlechtsspezifische Muster in dieser ungleichen Verteilung von Gehalt oder Gewalt.

„Eines der ersten Dinge, die wir […] entdecken ist, dass persönliche Probleme politische Probleme sind. Es gibt zurzeit keine persönlichen Lösungen. Es gibt nur kollektives Handeln für eine kollektive Lösung.“[2]

Wir sind es gewöhnt, unsere persönlichen Probleme im Privaten mit uns selbst und in unseren engsten Beziehungen auszumachen. Selten trauen wir uns, unsere Erfahrungen öffentlich zu machen. Wenn wir es doch tun, wird uns schnell klar gemacht, dass wir uns nicht öffentlich wehren und unsere Stimme erheben sollen und wir ziehen uns wieder ins Private zurück. Das geschieht zum Beispiel durch öffentliche Demütigungen, frauenfeindliche Gutachten von Psycholog:innen, die horrenden Kosten und finanzielle Belastung von gerichtlichen Prozessen oder wenn wir einfach nicht ernst genommen werden, uns nicht geglaubt wird.

Die kulturelle Trennung von dem was wir als Privat verstehen und dem Öffentlichem bzw. Politischem fühlt sich für uns fast schon „natürlich“ an. Seit wir uns erinnern können, findet das Leben von Frauen vor allem im Haus, in der Familie statt, während Männer selbstverständlich im Draußen leben: Arbeit, Vereine, Politik, Clubs. Selbst heute, obwohl wir uns so gleichberechtigt fühlen, wissen wir instinktiv, wer nachts zuerst aufwacht und aufsteht, um dem Kind die Windeln zu wechseln, obwohl wir am nächsten Morgen eine Verabredung haben oder wer Stunden im Job reduzieren muss, damit der Haushalt nicht vernachlässigt wird: Wir selbst sind es.

Der Automatismus, mit dem wir uns ins Privatleben zurückziehen trägt dazu bei, dass wir keine Alternative sehen, dass wir keine Ressourcen haben uns gegen diese „persönlichen Probleme“ zu wehren. Er führt dazu, dass wir uns als unfähig erleben, etwas an dem Bestehenden zu verändern. Wir bleiben vereinzelt, und haben keine Kraft einen Kampf gegen die Umstände aufzunehmen oder weiterzuführen, die uns allen strukturell immer wieder die mehr oder weniger gleichen Probleme bereiten.

Wir glauben, dass man diese Erfahrungen kollektivieren kann, eine Gemeinschaft derjenigen bilden, die diese Erfahrungen teilen und uns damit gegenseitig so den Rücken stärken, dass wir unsere „persönlichen Probleme“ nicht mehr alleine austragen müssen, sondern uns gegenseitig unterstützen.

Wir haben den Verein gegründet, um gemeinsam Handlungsfähigkeit herzustellen und unsere Erfahrungen aus dem sogenannten „privaten“ Erleben und damit aus der Unveränderlichkeit herauszuholen, indem wir das uns Widerfahrene/das Erlebte als etwas begreifen, was nicht einfach ein individuelles Schicksal ist.

Handlungsfähigkeit wollen wir ermöglichen,  indem wir unsere kollektiven Erfahrungen auch kollektiv aushalten und uns gegenseitig stärken und Handlungsmacht entwickeln. Das funktioniert durch die finanzielle Unterstützung bei Gerichtskosten, die wir über unsere Mitgliedsbeiträge und Spenden solidarisch aufteilen, bis hin zu gegenseitigen Beratungsleistungen und dem Aufbau und der Vermittlung von Netzwerken. Das Private ist Politisch und Politisch heißt, es betrifft uns gemeinsam. Und gemeinsam können wir unsere Leben und Chancen verbessern.


[1]  Catherine McKinnon 2006: Are women human? Belknap Press. Zitat übersetzt von Lila Hilfe.

[2] Carol Hanisch 1970: The Personal Is Political. In:  Notes From the Secon Year: Women’s Liberation, Seite 76.